Wie Städte Maßnahmen ergreifen, um die Zahl der Autos zu reduzieren

Volle Straßen, zugeparkte Gehwege und schlechte Luft – viele Städte in Europa haben das Auto als ein zentrales Hindernis für urbane Lebensqualität ausgemacht und steuern mit innovativen, aber teils auch harten Maßnahmen gegen den zunehmenden Autoverkehr an.

In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Autos in Westeuropa um 29 Millionen angestiegen. Die Folgen dieses Wachstums sind vor allem in den Städten spürbar geworden: Der Platz auf den Straßen und am Straßenrand wird immer enger und damit umkämpfter. Das kann nicht nur den sozialen Frieden stören, sondern hat auch direkt Einfluss auf Gesundheit, Lebensqualität und nicht zuletzt das Klima. Einige Metropolen haben dies erkannt und versuchen verstärkt mit gezielten Maßnahmen das Auto aus den Innenstädten zu verdrängen.

Einer der Vorreiter im Kampf gegen den zunehmenden Autoverkehr ist London. Das hat seinen Grund: Die Londoner Innenstadt erstickt wie kaum eine andere im Verkehr. Die britische Hauptstadt ist mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 14 km/h die am langsamsten zu durchfahrende Stadt der Welt. Daher setzt London bereits seit 2003 auf eine City-Maut, um das Verkehrsproblem in den Griff zu kriegen. Diese Maßnahme zielt darauf ab, insbesondere Touristen und Berufspendler:innen dazu zu bewegen, vom eigenen Auto auf öffentliche Verkehrsmittel wie die Tube, die Doppeldeckerbusse und Züge oder das Fahrrad umzusteigen, um Stau und Luftverschmutzung in der City of London zu mildern. Darüber hinaus gibt es in London eine Low Emission Zone bzw. Niedrig-Emissionszone, in die Fahrzeuge mit hohen Abgaswerten gar nicht oder nur gegen hohe Gebühren einfahren dürfen. Bis 2030 soll der Autoverkehr in London um 27 Prozent reduziert werden.

“Zero Emission”- und Tempo 30-Zonen gegen Lärm und Luftverschmutzung

„Zero Emission“-Zonen werden auch außerhalb Londons immer beliebter. Sie sind vor allem als Maßnahme gegen Luftverschmutzung gedacht, haben aber auch einen Einfluss auf die Verkehrsdichte, denn es bedeutet auch eine Reduzierung des Schwerlastverkehrs in den Innenstädten. In anderen europäischen Städten wie Paris, Oslo und Amsterdam denkt man über die Einführung solcher Zonen nach. Die Niederlande sehen darüber hinaus vor allem Beschränkungen für den Güterverkehr vor. In Amsterdam gilt seit Dezember 2023 in 80 Prozent der Straßen Tempo 30. Damit soll die Stadt sauberer und sicherer werden. Auch im Zentrum von Paris gilt seit letztem Jahr Tempo 30, um den Durchgangsverkehr, der in der Stadt die Hälfte des Verkehrs ausmacht, zu reduzieren und um Fußgänger:innen und Radfahrer:innen besser zu schützen. In Deutschland ist zuletzt der Versuch der Städte und Gemeinden gescheitert, die Einführung von flächendeckenden Tempo-30-Zonen zu erleichtern. 

Warum eine Verkehrswende in Städten notwendig ist

Die wachsende Anzahl von Autos in Städten führt zu einer Vielzahl von gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, wie zum Beispiel steigende CO2-Emissionen, Lärm und Luftverschmutzung oder die Verdrängung schwächerer Verkehrsteilnehmer. Um diese Probleme anzugehen, setzen immer mehr Städte auf eine Verkehrswende, die darauf abzielt, den Autoverkehr zu reduzieren und alternative Formen der Mobilität, wie zum Beispiel den ÖPNV oder das Fahrrad zu fördern.

Der Fokus liegt dabei auf einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Gestaltung des Verkehrs im Gegensatz zum Leitbild einer “autogerechten Stadt”, das die Nachkriegszeit geprägt und weiterhin negative Auswirkungen auf die Städte hat. Allerdings hat sich dieser Ansatz, die Stadtplanung auf das Auto auszurichten, in den vergangenen Jahrzehnten auch überlebt, was nicht zuletzt an veränderten Wertvorstellungen der Menschen liegt. So wünschen sich beispielsweise über 90 Prozent, in Städten zu leben, in denen man nicht auf ein eigenes Auto angewiesen ist. An die Stelle der autogerechten Stadt rückt verstärkt das Bild der „lebenswerten Stadt“ als attraktiver Aufenthalts-, Wohn- und Arbeitsort. Städte, die als “lebenswert” bezeichnet werden, zeichnen sich in der Regel durch eine moderne Verkehrs­planung und eine ambitionierte Verkehrspolitik aus.

In diesen europäischen Großstädten schreitet die Verkehrswende voran

Mit innovativen Maßnahmen und einem klaren Fokus auf die Verkehrswende setzen Städte weltweit ein Zeichen für eine nachhaltige Mobilität. Dabei steht die Reduzierung des Autoverkehrs im Mittelpunkt vieler Städte. Paris, Amsterdam, Barcelona oder Wien sind nur einige Beispiele dafür, wie Städte aktiv daran arbeiten, die Anzahl der Autos auf ihren Straßen zu verringern. 

Paris

Highlights:

  • Einführung Tempo 30 im gesamten Stadtgebiet
  • Massiver Ausbau des Radwegenetzes
  • 18 Euro pro Stunde Parkgebühr für auswärtige Fahrzeuge über 1,6 Tonnen
  • 70.000 Parkplätze werden umfunktioniert
  • 170.000 neue Bäume

In Paris ist die Verkehrswende seit einigen Jahren voll im Gange. Um die Lebensqualität in der Stadt zu erhöhen, wurden beispielsweise die Uferstraßen an der Seine für Autos gesperrt und besser für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen zugänglich gemacht. Auch in anderen Straßen wurde der Autoverkehr eingeschränkt, um den öffentliche Platz zu erweitern und neue Grünflächen anzulegen. Fast überall im gesamten Stadtgebiet gilt Tempo 30, in vielen Nachbarschaften sollen daruber hinaus verkehrsberuhigte Zonen mit geringeren Geschwindigkeiten und weniger Durchgangsverkehr entstehen. Zudem plant die Stadtregierung auf der Stadtautobahn die Zahl der Fahrstreifen zu reduzieren. Diese Maßnahmen zeigen bereits erste Ergebnisse: Die Luftverschmutzung in Paris hat in den vergangenen Jahren messbar abgenommen.

Profiteur dieser Verkehrswende ist das Fahrrad. Durch den massiven Ausbau des Radwegenetzes nutzen immer mehr Pariser:innen für ihre täglichen Wege das Rad. 52 Kilometer an sogenannten Pop-Up-Radwegen, die während der Corona-Pandemie mit Betonabsperrungen eingerichtet wurden, werden derzeit zu permanenten Radwegen ausgebaut. Andere bestehende Radverbindungen werden durch Bordsteine vom Autoverkehr abgetrennt und sicherer gemacht. Für die in diesem Jahr anstehenden Olympischen Spiele in Paris werden die Sportstätten mit einem 60 Kilometer langen Radwegenetz verbunden, wobei die Hälfte davon neu angelegt werden soll.

Bei den Pariser:innen stoßen die Maßnahmen der Stadtregierung überwiegend auf Zustimmung. Das zeigte sich erst vor kurzem: In einem Referendum haben sie sich für eine deutliche Erhöhung der Parkgebühren für SUVs und andere schwere Fahrzeuge im Stadtzentrum ausgesprochen. Die neuen Parkgebühren gelten für Besucher:innen, Anwohner:innen sind nicht betroffen.

Konkret bedeutet das, dass die Parkgebühren im Stadtzentrum für SUVs und andere Autos mit einem Gewicht von mehr als 1,6 Tonnen von 6 auf 18 Euro pro Stunde steigen werden. In den Außenbezirken erhöhen sie sich von 4 Euro auf 12 Euro pro Stunde. So kosten sechs Stunden Parken in Paris für Besucher:innen künftig mehr als 200 Euro. Bisher lag die Obergrenze bei 75 Euro.

Eine solche Abstimmung über die Zukunft der Mobilität in Paris ist nicht neu. Bereits im April 2023 stimmten 90 Prozent der Pariser Bürger:innen dafür, E-Scooter zu verbieten. Daraufhin nahmen E-Scooter-Anbieter ihre Roller von den Straßen. Die E-Scooter standen in Paris vor allem wegen ihrer Gefährdung und Belästigung von Fußgänger:innen sowie einer vermeintlich negativen CO2-Bilanz in der Kritik. Aus dem Pariser Stadtbild sind E-Scooter dennoch nicht verschwunden. Im Gegensatz zu deutschen Städten nutzen viele Stadtbewohner:innen in Paris ihren privaten Roller.

Amsterdam

Highlights:

  • Bis 2025 wird die Zahl der Parkplätze im Stadtzentrum um 11.200 reduziert
  • Seit Dezember 2023 gilt Tempo 30 auf 80 Prozent der Straßen
  • Ab 2030 sind Autos mit Verbrennungsmotor in der City verboten
  • Anwohnerparken kostet bis zu 567 Euro im Jahr

Amsterdam ist die Fahrrad-Hauptstadt Europas. In Amsterdam gibt es mehr Fahrräder als Einwohner:innen. Auf 800.000 Einwohner:innen kommen ca. 900.000 Fahrräder. 40 Prozent des gesamten Verkehrs werden mit ihnen zurückgelegt. Dementsprechend ist das Netz an breit ausgebauten Radwegen mit sicheren Kreuzungen 500 Kilometer lang. Hinzu kommen eine Vielzahl an „Fietsstraaten“, das sind Wohnstraßen, auf denen Fahrräder (“fietsen”) Vorfahrt haben. 

Grundsätzlich sind viele der Amsterdamer Straßen verkehrsberuhigt. Seit Dezember 2023 gilt in Amsterdam auf 80 Prozent der Straßen Tempo 30. Lediglich auf großen Durchgangsstraßen ist weiterhin 50 km/h erlaubt. Amsterdam ist damit die erste Stadt in den Niederlanden, in der auf so vielen Straßen Tempo 30 eingeführt wird. Die Straßen sollen damit im Zuge des gestiegenen Verkehrsaufkommens und der vielen Verkehrsunfälle sicherer und leiser gemacht werden. Bis 2025 sollen zudem ca. 11.000 Parkplätze wegfallen und zukünftig die ohnehin schon hohen Parkgebühren weiter erhöht werden. Ab 2030 werden Autos mit Verbrennungsmotor in der Innenstadt verboten sein.

Das Ziel der Stadt ist es, mit diesen Maßnahmen die individuelle Mobilität in Amsterdam bis 2030 emissionsfrei zu gestalten. Carsharing-Autos sollen beispielsweise den Abschied vom eigenen Auto erleichtern. Amsterdamer:innen stehen über 11.000 davon zur Verfügung.  In Berlin, einer viermal so großen Stadt, sind es gerade mal 3.000 Autos. Elektroautos und Plug-in-Hybride machen zudem inzwischen etwa sieben Prozent der Pkw-Flotte der Stadt aus. Sie können an 5.000 öffentlichen Ladepunkten geladen werden. Mobilitäts-Hubs fördern den Umstieg von Carsharing oder Fahrrad auf den ÖPNV und ermöglichen so intermodale Fortbewegung. Um die Emissionen des öffentlichen Verkehrs zu reduzieren wird die Busflotte bis 2025 komplett auf E-Antrieb umgestellt. Und auch die Fähren sollen in Zukunft auf dem 80 Kilometer langen Netz der Wasserstraßen elektrisch verkehren. 

Beispiel 3: Barcelona

Highlights: 

  • Einrichtung von “Superblocks”: Nachbarschaften ohne Durchgangsverkehr
  • Massive Umgestaltung vieler Straßen in Plätze und Fußgängerzonen

Mit einem besonders ausgearbeiteten Plan versucht Barcelona die Verkehrswende umzusetzen. Die katalanische Metropole macht sich dabei ihr schachbrettartiges Straßennetz zu Nutze und richtet bereits seit 2016 sogenannte „Superblocks“ ein. In die rund 500 mal 500 Meter langen Blocks dürfen nur noch Anwohner:innen und Lieferanten hinein, der Durchgangsverkehr wird durch Straßenumgestaltungen unterbunden. Statt am Straßenrand dürfen Autofahrer:innen nur noch in Tiefgaragen und Parkhäusern parken. Bislang gibt es nur wenige dieser Superblocks, im laufenden Jahrzehnt soll es jedoch auf das komplette Stadtgebiet ausgeweitet werden, zuletzt stockte der Ausbau jedoch. Der ursprüngliche Plan sieht mehr als 500 dieser Superblocks vor, womit 60 Prozent der bisher von Autos genutzten Straßen für die Anwohner:innen frei werden könnten und beispielsweise in Flaniermeilen, öffentliche Plätze oder Spielplätze umgestaltet werden. Laut einer Studie des Barcelona Institute for Global Health sollen die Superblocks die Luftverschmutzung in der Stadt um 24 Prozent verringern und den Straßenlärm und den Effekt von Hitzeinseln reduzieren. Dadurch könnten 667 vorzeitige Todesfälle im Jahr verhindert werden.

Beispiel 4: Wien

Highlights:

  • Weiterer Ausbau des U-Bahn-Netzes
  • Ausweitung des Anwohnerparkausweises
  • Umwandlung des öffentlichen Raumes: Von Parkplätzen zu Nachbarschaftsplätzen

In globalen Rankings zur Lebensqualität liegt Wien seit Jahren auf Platz eins. Zum Beispiel beim „Quality of Living City Ranking“ der Unternehmensberatung Mercer und beim „Global Liveability Index“ des Wirtschaftsmagazins „The Economist“. Viel hat das auch mit Mobilität zu tun: Die österreichische Hauptstadt wird unter anderem gepriesen für ihr gut ausgebautes Öffi-Netz aus U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen. Zudem ist die ÖPNV-Nutzung durch das 365-Euro-Ticket günstig: Die Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr kostet einen Euro pro Tag, das Ticket gilt im ganzen Verkehrsverbund. In Wien gibt es deshalb mehr Jahreskartenbesitzer:innen als Autobesitzer:innen. Unterstützt wird der ÖPNV von einer kostengerechten Parkraumbewirtschaftung, die das Auto unattraktiver macht.

Seit über 20 Jahren gibt es das sogenannte Parkpickerl – eine Art Anwohnerparkausweis. Ohne diesen dürfen Autofahrer:innen ihr Fahrzeug nicht mehr längere Zeit im öffentlichen Raum abgestellen, sondern nur noch in Parkhäusern, in Kurzzeitparkzonen und auf Park-and-Ride-Plätzen. Anfangs galten diese Regeln nur in wenigen innenstadtnahen Bezirken, in 2022 wurde das Parkpickerl auf alle 23 Wiener Bezirke ausgeweitet. Wien hat ambitionierte Ziele für die Verkehrswende: Bis 2030 soll der Anteil der Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, von den im internationalen Vergleich bereits geringen 27 Prozent auf nur 15 Prozent sinken, mindestens die Hälfte der täglich rund 200.000 Autopendler:innen sollen zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel bewegt werden.

Gelingen könnte das neben dem weiteren Ausbau der U-Bahn etwa auch mit der Stärkung des Fuß- und Radverkehrs. Denn auch in Wien wird Zu-Fuß-Gehen und Radfahren immer beliebter. Bereits 2015 wandelte die Stadt die größte Einkaufsstraße Österreichs, die Mariahilfer Straße, in eine Begegnungszone um, ein dichtes Netz an weiteren Flaniermeilen ist geplant und teilweise in Umsetzung. Viele Straßen wurden in verkehrsberuhigte Zonen oder öffentliche Plätze umgewandelt. Auch der Ausbau des Radwegenetzes ist in den letzten Jahren stark vorangekommen. Auch in Zukunft will die Donaumetropole die Rankings der lebenswertesten Städte anführen - dank der Verkehrswende.

Was machen deutsche Städte?

Der Vorstoß einer großen Zahl deutscher Städte und Gemeinden, die Einführung von flächendeckenden Tempo-30-Zonen zu erleichtern, ist Ende letzten Jahres am Widerstand im Bundesrat gescheitert. Auch beim Anwohnerparken hinken deutsche Städte im europäischen Vergleich deutlich hinterher. Zwar haben Städte inzwischen mehr Freiheiten als zuvor, die Kosten für einen Anwohnerparkausweis selbst festzulegen, doch ihr gesetzlicher Rahmen ist weiterhin beschränkt. Nachdem manche Vorstöße die Gebühren zu erhöhen, wie beispielsweise in Freiburg, von Gerichten einkassiert wurden, sind andere Städte vorsichtiger geworden. Köln wollte das Anwohnerparken mit bis zu 390 Euro pro Jahr deutlich teurer machen, hat sich aber zuletzt entschieden, die Gebühren weniger stark zu erhöhen.

In deutschen Städten hat die Verkehrswende in den letzten Jahren zwar an Bedeutung gewonnen, stößt vielerorts aber auch auf vehementen Widerstand und eine immer noch autofreundliche Politik. In Berlin wurde die Umwandlung der Friedrichstraße in eine Fußgängerzone heiß diskutiert und zuletzt wieder zurückgenommen. Generell ist das Tempo bei der Umsetzung der Verkehrswende in der Hauptstadt aufgrund der komplexen Verwaltungsstruktur langsam. Eine fußgängerfreundliche Innenstadt ist in Hannover kürzlich gescheitert

Stefan Wendering
Stefan ist Freelance Autor und Redakteur bei NAVIT. Zuvor arbeitete er bereits für Start-ups und im Mobilitätskosmos. Er ist ein Experte für urbane und nachhaltige Mobilität, Mitarbeiter-Benefits und New Work. Neben Blog-Inhalten erstellt er auch Marketingmaterialien, Taglines & Content für Websites und Fallstudien.